IV. Die teuersten Fehler beim Pflichtteil und ihre Folgen
Fehler 1: Versäumte Fristen – der unwiderrufliche Verlust
Der wohl gravierendste Fehler beim Pflichtteil ist das Versäumen der Verjährungsfristen. Als Rechtsanwalt für Erbrecht sehe ich immer wieder, wie Menschen durch diese Unwissenheit ihre kompletten Ansprüche verlieren.
Wichtige Fristen:
- 3 Jahre Verjährung ab Kenntnis vom Erbfall und der Enterbung
- Die Frist beginnt nicht zwingend erst mit der Testamentseröffnung
- Bereits beim Begräbnis kann die Frist starten, wenn Sie von der Enterbung erfahren
Praxisfall: Eine Tochter erfährt beim Begräbnis ihres Vaters von anderen Verwandten, dass sie enterbt wurde. Sie ist so schockiert, dass sie sich zunächst nicht um rechtliche Schritte kümmert. Erst vier Jahre später wendet sie sich an einen Anwalt.
Zu spät – ihr Pflichtteilsanspruch von 150.000 Euro ist verjährt.
Besonders tückisch: Die Verjährung beginnt auch dann, wenn Sie noch gar nicht wissen:
- Wie hoch Ihr Pflichtteil ist
- Welche Vermögenswerte zum Nachlass gehören
- Ob Schenkungen zu Lebzeiten des Erblassers erfolgt sind
Fehler 2: Unvollständige oder verspätete Geltendmachung
Viele Pflichtteilsberechtigte glauben, es reiche aus, den Pflichtteil mündlich zu erwähnen oder in einem Gespräch anzudeuten. Das ist ein kostspieliger Irrtum, den ich in meiner Praxis leider häufig sehe.
So fordern Sie richtig:
- Schriftlich und nachweisbar (am besten per Einschreiben)
- Aktiv und eindeutig beim Erben einfordern
- Klare Formulierung verwenden
Fehler 3: Fehlerhafte Berechnung des Pflichtteils
Die korrekte Berechnung des Pflichtteils ist komplexer, als viele annehmen. Hier zeigt sich die Komplexität des Erbrechts in voller Gänze. Grundlage ist der Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls, abzüglich der Nachlassverbindlichkeiten.
Oft übersehene Vermögenswerte:
- Bankkonten bei verschiedenen Instituten
- Lebensversicherungen
- Beteiligungen an Unternehmen
- Schmuck und Kunstgegenstände
- Auslandsvermögen
- Forderungen gegen Dritte
Nicht berücksichtigte Schenkungen: Schenkungen des Erblassers in den letzten zehn Jahren vor seinem Tod können den Pflichtteil erhöhen. Diese sogenannten pflichtteilsergänzenden Ansprüche werden oft übersehen.
Beispiel: Der Erblasser hat seinem anderen Kind fünf Jahre vor seinem Tod 200.000 Euro geschenkt. Diese Schenkung erhöht den fiktiven Nachlass und damit auch Ihren Pflichtteil.
Fehler 4: Unzureichende Auskunft über den Nachlass
Als Pflichtteilsberechtigter haben Sie Anspruch auf vollständige Transparenz. Der Erbe muss Ihnen detailliert offenlegen, welche Gegenstände und Verbindlichkeiten zum Nachlass gehören. Hier ist eine strukturierte Herangehensweise entscheidend.
Ihr Recht auf Auskunft umfasst:
- Vollständiges Verzeichnis aller Nachlassgegenstände
- Wertangaben mit Nachweisen (Gutachten, Kontoauszüge)
- Aufstellung aller Verbindlichkeiten
- Nachweis über Schenkungen bereits zu Lebzeiten (letzte zehn Jahre)
- Bei Bedarf: Vorlage von Belegen und Unterlagen
Wichtig: Ohne vollständige Kenntnis des Nachlasses können Sie Ihren Pflichtteil nicht korrekt berechnen. Oft werden Vermögenswerte verschwiegen oder zu niedrig bewertet.
Fehler 5: Falsche Annahmen über Schenkungen
Viele Pflichtteilsberechtigte wissen nicht, dass Schenkungen des Erblassers zu Lebzeiten ihren Pflichtteil beeinflussen können. Hier ist fundierte Expertise gefragt.
Grundsätzliche Regel:
- Schenkungen in den letzten zehn Jahren vor dem Tod erhöhen den fiktiven Nachlass
- Schenkungen von Ehegatten sogar während der ganzen Ehedauer
- Der Wert schmilzt jährlich um ein Zehntel ab. Hiervon gibt es aber zahlreiche Ausnahmen, sodass doch der volle Wert zählt
- Anrechnung auf den Pflichtteil erfolgt nur bei entsprechender Vereinbarung
Praxisfall: Ein Vater schenkt seinem Sohn vor acht Jahren einen Geldbetrag in Höhe von 300.000 Euro. Bei seinem Tod erhöht diese Schenkung den fiktiven Nachlass noch um 60.000 Euro (20% von 300.000 Euro). Der Pflichtteil der enterbten Tochter steigt dadurch um 15.000 Euro.